Was bringt die 2. Vorsorgekoloskopie nach 10 Jahren?

Seit 2002 ist die Vorsorgekoloskopie (VK) im Rahmen der Darmkrebsvorsorge für Männer und Frauen ab 55 Jahren in Deutschland etabliert. Seit dem 1. Juli 2019 wird die Untersuchung für Männer schon ab 50 Jahren angeboten. Bei unauffälliger erster Untersuchung und ohne ein familiäres oder genetisches Risiko wird im Rahmen der Darmkrebsvorsorge eine zweite Untersuchung nach zehn Jahren empfohlen und finanziert. Dieses Zeitintervall wurde bisher nicht aus prospektiven klinischen Studien abgeleitet, sondern aus wenigen klinischen Beobachtungen und theoretischen Modellen zum Darmkrebswachstum approximiert. Diesen Mangel an empirischer Evidenz versucht nun die Arbeitsgruppe um Professor Hermann Brenner aus dem Deutschen Krebsforschungszentrum in Heidelberg (DKFZ) zu überwinden. In einer aktuellen Arbeit, publiziert im BMJ am 13. November 2019 haben Thomas Heisser und Kollegen eine Meta-Analyse zum Thema vorgelegt (1). Die Arbeitsgruppe hat 28 Beobachtungsstudien und Fall-Kontroll-Analysen der letzten 25 Jahre einbezogen. Die meisten Untersuchungen hatten ein retrospektives Design und berichten über ein Intervall von 1-5, 5-10 und > zehn Jahren nach initial unauffälliger Index-Untersuchung. Das Lebensalter der Untersuchten betrug 40-68 Jahre. Der Anteil der Männer lag bei 42-100%. Die Follow up-Untersuchungen erfolgten frühestens nach 2.1 Jahren und spätestens nach 11.9 Jahren. Erfasst wurden Adenome, fortgeschrittene Adenome und Karzinome, die sich bei der Kontrolle manifestiert hatte.

In der Gruppe der Analysen, die einen Zeitraum bis zu 5 Jahren untersuchten, fanden sich 4.9-40.4% Adenome. 50% der Untersuchungen berichteten über 15.6-24.5% mit einem Median von 21.4%. Bei 0.7%-7.0% zeigten sich fortgeschrittene Adenome mit einem Median von 2.8%. Sechs von 13 berücksichtigten Studien fanden kein Intervall-Karzinom (Post-Koloskopie-Karzinom), sechs Studien identifizierten im Mittel 0.8% Karzinome, in einer Studie betrug der Anteil 1.1%

In der Analysegruppe 5-10 Jahren nach der Index-Koloskopie fanden sich 7.4%-41.4% Adenome, im Median 22.4%, fortgeschrittene Adenome in einer Häufigkeit von 0.6%-9.4%, im Median 3.6%. In zehn Studien zeigte sich kein Karzinom, in 3 Studien 0.5% Karzinome, nur in einer Studie betrug die Karzinomprävalenz 2.2%.

Nur drei Studien lieferten Ergebnisse für Kontrollen nach mehr als zehn Jahren. Adenome fanden sich bei 15.8%, 22.2% und 27.8%, die Rate der korrespondierenden fortgeschrittenen Adenome lag bei 7.5%, 5.6% und 8.0%. 2 Studien wiesen keine Karzinome nach, in einer Studie betrug die Anzahl der 2.4%.

Fast alle Untersuchungen, die beide Geschlechter einschlossen, zeigten auf, dass Männer mehr Adenome und in der Tendenz auch mehr fortgeschrittene Adenome entwickelten als Frauen.

Diese Meta-Analyse zeigt, dass in einem Intervall von zehn Jahren die Anzahl der Adenome relativ konstant ist, die Anzahl der fortgeschrittenen Adenome nimmt mit 2.8 bzw. 3.2% kaum zu. Erst nach mehr als zehn Jahren steigt das Risiko fortgeschrittener Adenome auf 5.6-8% an. Die Anzahl der Intervall-Karzinome ist in fast allen Studien sehr gering.

Insgesamt unterstützt diese Meta-Analyse empirisch die Empfehlung einer Kontroll-Koloskopie nach zehn Jahren, wenn die erste VK unauffällig war und keine persönliche Risikokonstellation besteht.

Dennoch bleiben kritische Fragen. Die Autoren weisen selbst auf die Heterogenität und Bias-Risiken der eingeschlossenen Studien hin. Ich persönlich sehe den größten Mangel im Alter der in die Untersuchung eingeschlossenen Personen. Das Durchschnittsalter für Darmkrebs bei der ersten VK liegt bei ca. 67 Jahren, bei Intervallkarzinomen in einer eigenen Untersuchung bei ca. 72 Jahren. Diese Meta-Analyse erfasst Personen im Alter von 40-68 Jahren, d.h. die Anzahl fortgeschrittener Adenome und Karzinome dürfte bei einer zweiten Koloskopie, die im deutschen Vorsorgekalender für Männer jetzt frühestens nach dem 61. Lebensjahr, bei Frauen nach dem 66 Lebensjahr erfolgt, deutlich höher liegen.

Das deutsche Vorsorgeprogramm hätte seit 2012, zehn Jahre nach Implementierung des Programms im Jahre 2002, einen wichtigen Beitrag zu dieser Frage liefern können. Es wurde aber leider organisatorisch versäumt, diese Kontrolluntersuchungen, zehn Jahre nach der ersten VK systematisch zu erfassen und auszuwerten. Eine retrospektive Analyse der Daten des Zentralinstitutes für die kassenärztliche Versorgung (ZI) auf diese Fragestellung hin dürften schwierig sein! Erst ab dem 1.1. 2020 soll dieser Frage prospektiv und systematisch nachgegangen werden!

(1)
Outcomes at follow-up of negative colonoskopy in average risk population: systematic review and meta-analysis (Thomas Heisser, Le Peng, Korbinian Weigl, Michael Hoffmeister, Hermann Brenner)

Dr. med. Dietrich Hüppe
Co-Sprecher Fachgruppe Kolorectales Karzinom des bng
Vorstand Stiftung Lebensblicke

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